Wissenschaft /Weltraum
von
Hanna Styrie
Kunsthistorikerin und Kulturjournalistin
Die Mittel und Fähigkeiten der Wissenschaft scheinen grenzenlos.
Die Erforschung des Universums geht voran, das Hubble-Teleskop und das 2022 in Betrieb genommene James Webb-Teleskop bieten faszinierende Blicke in ferne Galaxien und unbekannte Sternennebel.
Immer neue gestochen scharfe Bilder von Weltrauminseln, die sich in unvorstellbaren Entfernungen von Milliarden Lichtjahren befinden, und Vorgängen in den Tiefen des Kosmos, werden weltweit verbreitet. Selbst der Weltraum-Tourismus ist keine Vision mehr.
Das All als Sehnsuchtsort, als Inspirationsquelle und Projektionsfläche für Utopien hat längst auch Eingang in die Kunstwelt gefunden. Künstler:innen nähern sich dem Thema mit vielfältigen Mitteln an. „Space is the Place“ heißt das Motto schon seit den 1960er Jahren. Die Weltraumorganisation NASA zeigte sich offen und lieferte für die diversen Projekte bereitwillig die entsprechenden Informationen und Materialien - bis heute.
Übrigens hat die NASA selbst den Raumsonden Voyager 1 und 2 eine vergoldete Kupferplatte als Botschaft an mögliche Außerirdische beigegeben. Die „Golden Record“ enthält neben Geräuschen wie Herzklopfen, Vogelgezwitscher und Froschquaken Grüße in vielen verschiedenen Sprachen, und Meisterwerke der Klassischen Musik von Bach, Mozart und Beethoven. Umgekehrt hat Voyager 1 als erste Sonde den „Sound“ des Kosmos aufgezeichnet.
Auf die Kölner Medienkünstlerin Joanna Vortmann üben die "Geräusche" im Universum eine ähnlich starke Anziehungskraft aus wie die Bilder aus dem All. Vortmann, die sich von jeher für Sterne und das Firmament interessiert, hat 2017 damit begonnen, nach umfangreichen Recherchen Soundfiles aus unterschiedlichen Quellen – NASA, ESA, verschiedenen Universitäten sowie privaten Astronom:innen, die ihr ihre Daten zur Verfügung gestellt haben - in Kompositionen zu verwandeln. 2021 erfolgte dann in einem weiteren Schritt die Visualisierung der „Sounds of the Vacuum“.
Sie hat sich das Bild- und Tonmaterial in aufwändigen technischen Prozessen künstlerisch so anverwandelt, dass ein mit Bedacht ausbalanciertes, fesselndes Zusammenspiel entstanden ist, das eine starke Sogwirkung entfaltet und Betrachter:innen aus dem Alltag unvermittelt in ferne Welten katapultiert.
Die „Sounds of the Vacuum“ erhielten die Form einer viersätzigen Sinfonie. In einer Sechs-Kanal-Installation bekommt man sphärische, galaktische, vielleicht sogar apokalyptisch anmutende Klänge ebenso zu hören, wie ein leise schwebendes, introvertiertes Sirren, das sich in unendlichen Fernen abspielt.
Dazu muss man wissen, dass nur die wenigsten kosmischen Sounds mit Mikrofonen aufgezeichnet werden. Ausnahmen sind etwa die Landung des kleinen Satelliten „Huygens“ auf dem Mond Titan und der Wind auf dem Planeten Mars.
Die Aufnahmen außerhalb unseres Planeten werden bislang von anderen Instrumenten gemacht: Magnetometern, Radio-Plasmawellen-Instrumenten oder Radio-Antennen.
Sie messen vor allem elektromagnetische Strahlung in allen Frequenzen, Magnetfelder in ihren Schwankungen, und die Teilchen des Sonnenwindes in ihren Wechselwirkungen mit unserem Planeten und sonstigen Himmelskörpern des Sonnensystems.
Die "Sounds" bestehen letztlich aus Datenpaketen, die durch technische Übersetzung in einen hörbaren Bereich transponiert werden können. Sie lassen sich durch entsprechende Bearbeitung aufwerten und verstärken. Das Ergebnis sind spacige Soundmischungen, von denen manche an eine kakophonische Sinfonie erinnern.
Die vibrierenden Klänge mit ihrem fernen Rauschen, ihrem geheimnisvollen Brausen und Brummen sind nicht eindeutig zu identifizieren und fordern dazu auf, sich intensiv auf neue Hörerlebnisse einzulassen, in denen man Donner, Sturm und andere Naturgeräusche wahrzunehmen glaubt.
Manche Sounds aber wirken auch überraschend weltlich und lassen an den Gesang von Vögeln, an Trommeln oder an Luft denken, die durch einen Blasebalg strömt.
Die ergänzende Visualisierung mit ihrem schier unerschöpflichen Reichtum an nie gesehenen Bildern kosmischer Ereignisse verstärkt die Faszination, die von den Sounds ausgeht. Mal reihen sie sich in organischer Folge aneinander, mal flackern sie als blitzartige Sekundensequenzen auf.
Die technisch versierte Künstlerin hat dafür Aufnahmen aus dem All digital bearbeitet. Durch unterschiedliche Bearbeitungsschritte und die Anwendung verschiedener Geschwindigkeitsstufen wird der Eindruck ständiger Bewegung und Veränderung hervorgerufen – analog zu der permanenten Bewegung, in der sich die alle kosmischen Körper befinden.
Im Werk von Joanna Vortmann finden die Klänge aus dem All inzwischen vielfach Verwendung. Sie kommen – gelegentlich in einer Kombination aus realen und kosmischen Sounds – etwa in Videos wie „Deep Space Ocean“ aus dem Jahr 2019 und in „Die Verwandlung“, entstanden 2021, zum Einsatz. Sowohl der dauernden Wellenbewegung wie den nahezu statischen Aufnahmen eines schneebedeckten Waldes verleihen sie eine überweltliche, manchmal auch unheilvolle, bedrohlich wirkende Anmutung.
Joanna Vortmann:
„Unsere Existenz auf diesem wunderschönen Planeten ist nur ein winziges Staubkorn innerhalb des kosmischen Geschehens. Zu realisieren, dass wir nicht der Mittelpunkt des Universums sind, sondern ein kleiner Planet, der um eine mittelgroße Sonne kreist, am Rande der Galaxie, die sich mit Milliarden weiteren Galaxien im unendlichen Raum um sich selbst dreht.
Auch bestehen wir in jeder Faser und jedem Molekül unseres Körpers aus "Sternenstaub". Im ursprünglichen Universum der ersten Zeit nach dem Urknall gab es nur zwei Elemente: Wasserstoff und Helium. Erst durch die Kollisionen oder das Zusammenstürzen früher Gaswolken und später durch die Explosion von Sternen ("Supernovae") entstanden solch enorme Hitzen, dass die höheren chemischen Elemente sich wie in Brutöfen bilden konnten. Und diese machen heute unsere Körper aus: Eisen, Sauerstoff, Kohlenstoff und alle anderen Mineralien und Elemente.
Dass wir von den Sternen sind, ist keine romantische Vorstellung, sondern sehr real und für mich persönlich zutiefst berührend."
Bislang in sechs Werken widmet sich Joanna Vortmann Bildern und/oder Klängen aus dem All, zuletzt 2022 in „Voices of earth“.
Diese Arbeit, die auf der Atlantikinsel Madeira entstanden ist, besteht aus Fotografien, Videoaufnahmen & Original-Natur-Sounds, sowie Sonifikationen der NASA. Das Prinzip „Panta Rhei“ (alles fließt) wird auf Madeira durch die ständigen Strömungen der Naturelemente wie Ozean, Wind, Wolken und Nebel besonders greifbar. Vortmann macht sichtbar, dass auch Wälder und Berge davon nicht ausgenommen sind.
Diese Auffassung bestätigt die Quantenphysik. Sie definiert Realität als „Teilchen-Welle-Dualismus“: Objekte sind Teilchen und Welle zugleich. Alles strömt, nichts hat einen soliden Kern. Das Innere der Materie ist leer, vibriert. Diese permanente Mikrobewegung ist für uns ebenso wenig erfahrbar wie die „schwarzen Löcher“, die alle Galaxien zusammenhalten.
Unsere physische Welt ist aus massiven Großereignissen im Kosmos entstanden: Atomfusionen in Super Novae. Alle Elemente bleiben vollständig vorhanden, wandeln sich und bleiben im Wesen unsichtbar.
Die Insel Madeira, die sich häufig unter wandernden Nebeln verbirgt, vermittelt diesen strömenden Zustand der Realität in „Voices of Earth“ im Zusammenspiel verschiedener Medien auf künstlerische Weise.
Nicht zuletzt die sphärische Klangkulisse sorgt dabei für Entrückung und Faszination beim Betrachter, lädt dazu ein, sich einzulassen auf das Universum, das uns – allen wissenschaftlichen und technischen Erkenntnissen zum Trotz - bis heute geheimnisvoll und unergründlich erscheint.
Hanna Styrie
Kunsthistorikerin und Kulturjournalistin
Brühl, im Dezember 2022