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Anmerkungen zum Werk

von 

Hanna Styrie

Kunsthistorikerin und Kulturjournalistin

​

Joanna Vortmann ist eine aufmerksame und in Achtsamkeit geübte Beobachterin gesellschaftlicher Phänomene und archaischer Naturereignisse. Mit sicherem Gespür und

oft genug auch visionär im Hinblick auf die Brisanz unterschiedlichster Themen erforscht

die Medienkünstlerin in Langzeitprojekten und Serien deren Verbindungen und Wirkungen. 

Die technischen Mittel, die sie dabei einsetzt sind vielfältig: mal bedient sie sich der Fotografie und des Videos, darüber hinaus entstehen auch Mehrkanal-Video-Sound-Installationen bei der künstlerischen Anverwandlung dokumentarischer Ereignisse. 

Sämtliche Arbeiten basieren auf ausgedehnten Recherchen und erstrecken sich oft über einen langen Zeitraum.  

 

Ein Beispiel hierfür ist „Die Verwandlung“, ein 2020/2021 entstandener Werkblock von fotografischen Serien und Videos, die sich mit dem Waldsterben befassen. 

Zu unterschiedlichen Jahreszeiten ist die Künstlerin dafür in den Westerwald und das Bergische Land gefahren und hat Kontakt zu den  Revierleitern  aufgenommen, die in Videos ausführlich Stellung zu den Ursachen der Schäden nehmen. Auf diese Weise unterfüttert sie ihr künstlerisches Schaffen mit wissenschaftlichen Fakten.

In stillen, zunächst noch fast idyllisch anmutenden Bildern macht Joanna Vortmann dem Betrachter, der Betrachterin zunehmend bewusst, welch drastische Auswirkungen Trockenheit, Sturmschäden, Borkenkäferbefall und Starkregen auf die Waldflächen haben. Dabei ist die ruhige, unaufgeregte Bildsprache ein typisches Stilmittel der Künstlerin, die auf reißerische Attitüden bewusst verzichtet und allein das Bildmaterial wirken lässt, das eine Essenz ihrer Untersuchungen darstellt.

 

Nicht weniger nahbar ist die 2 Kanal Video Soundinstallation „Wir werden verwandelt werden“,

für die der Ausbruch der Corona-Pandemie den Anlass gab.  Hier kombiniert sie gesammeltes Material aus den Nachrichten, das erschütternde Bilder aus Kliniken, Privaträumen und von Friedhöfen liefert, mit skurrilen Videos aus sozialen Medien, die Menschen zeigen, die sich mit Desinfektionsmitteln überschütten, Toilettenpapier horten, essen, trinken, tanzen und singen und ihre eigene Art von Endzeit-Szenario aufführen.

 

Ein Langzeitprojekt von bleibender Aktualität ist die 2012 begonnene fotografische Serie

„Heimat-Identität“, für die Joanna Vortmann Menschen fotografiert hat, die aus existenziellen, familiären oder beruflichen Gründen nicht in ihrer Heimat leben. Vortmann hat sie gebeten,

fünf persönliche Gegenstände mitzubringen, die für sie diese beiden Begriffe verkörpern.

 2015 hat sie die Werkgruppe erneut aufgegriffen und in der Folge weiter ergänzt. 

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Für andere Projekte ist sie ins Ausland gereist. „Essential Malta“ nennt sie eine Serie  von Fotos, die während des Winters auf der ihr seit langem vertrauten Mittelmeerinsel entstanden ist.

Ganz ohne touristischen Hochglanz vermittelt sie Eindrücke, die die herbe Seite einfangen

und die nur auf langen Streifzügen gelingen können. Gleiches gilt für die Arbeit „Around Mount Vesuvius“. Hier zeigt Joanna Vortmann Neapel in Aufnahmen, die einem die Stadt am Fuße

des Vulkans jenseits der Kulturdenkmäler nahebringen und ihre Armut und Zerbrechlichkeit

auf berührende Weise vorführen.

 

Starke Gefühle lösen die narrativen, teils märchenhaft-romantischen Bilder der Serie „Utopia.

Der Nicht Ort“ aus, in denen sich zahlreiche Referenzen an die Kunstgeschichte entdecken lassen. In den sorgfältigen Arrangements treffen innere und äußere Wirklichkeit aufeinander,

die den Betrachter zur Selbstbefragung anregen.  

Die von Menschen verlassene Architektur auf dem Bild „Zerfall“ ist der Macht der Natur preisgegeben, die sich ihr Terrain allmählich zurück erobert. In einer Ecke zeigt ein Bildschirm einen leblosen Körper. Der ewige Kreislauf vom Werden und Vergehen, von Anfang, Ende und Neubeginn verdichtet sich hier in einem Bild . 

Nicht weniger symbolträchtig ist die Rückenansicht einer jungen Frau, die sich in einem Innenhof befindet. Fenster und Türen sind verschlossen, doch scheint es, als wolle sie in eine andere, jenseitige Realität eintreten. „Vorhof“ ist der doppeldeutige Titel des Werks, das eine Situation

des Übergangs impliziert.  

In der Arbeit „Vorhang“ zeigen sich einmal mehr Joanna Vortmanns ausgeprägtes Gespür für

das Zusammenspiel von Farben und Formen und ihr kompositorisches Feingefühl.

Jedes Naturelement dieser mysteriösen Wald-Szenerie  wirkt auf geheimnisvolle Weise beseelt;

auch hier ist eine Frau offenbar dabei, sich dem Neuen und Unbekannten auszusetzen. Die Bühne ist bereitet, der Vorhang geht auf. So spielt „Utopia“ subtil mit Andeutungen und Verweisen, die jeder auf seine Art deuten mag.  

 

Von Neugier und Beharrlichkeit und dem Willen, zum Kern der Dinge vorzudringen,  sind die höchst unterschiedlichen Arbeiten geprägt, die im Verlauf eines Jahrzehnts entstanden sind.

Auf diese Weise sind Werkgruppen entstanden, die wegen ihrer Eindringlichkeit und Ernsthaftigkeit und nicht zuletzt wegen ihres Erkenntnisgewinns nachhaltigen Eindruck erzeugen, egal, ob es um Pressefreiheit ("We want the Truth - The Whole Truth"), Migration und den Heimat-Begriff oder die ökologische Situation geht. Dabei ist deutlich erkennbar, dass Joanna Vortmanns Projekte sich durch einen humanistischen Ansatz auszeichnen.

 

Der Videoinstallation „Deprive“ hat Joanna Vortmann ein Zitat von G. E. Lessing vorangestellt,

wie man es sich passender für ihr Schaffen kaum vorstellen kann:

 

„Je mehr wir sehen

desto mehr müssen wir dazu denken können.

Je mehr wir dazu denken

desto mehr müssen wir zu sehen glauben“.

 

 

Hanna Styrie

Kunsthistorikerin und Kulturjournalistin

Brühl, im Dezember 2021

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